Werden in Berlin leerstehende Wohnungen jetzt für Flüchtlinge beschlagnahmt?
> November 2015

Am 28. Oktober 2015 hat die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg das Bezirksamt „beauftragt Wohnungen, die bekanntermaßen und in größerer Anzahl aus Spekulationsgründen leer stehen ... zur Unterbringung von obdachlos Geflüchteten und Berliner*innen zu beschlagnahmen, bzw. eine solche Nutzung zu erzwingen.“ beck rechtsanwälte hat an der Versammlung teilgenommen und erläutert den Beschluss. Der ständige Zustrom von Flüchtlingen stellt die Kommunen gerade im bevorstehenden Winter vor enorme Herausforderungen. Sie sind dafür verantwortlich, die Flüchtlinge menschenwürdig unterzubringen. Dabei sind die Städte und Gemeinden darauf angewiesen, auch ungewöhnliche Wege zu gehen. So hat der Senat in Berlin bereits mehrere leerstehende Büro- und Fabrikgebäude beschlagnahmt und hierin Unterkünfte eingerichtet, so z.B. in einem ehemaligen Gebäude der Landesbank. Dies geht den Verordneten des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg nicht weit genug. Sie fordern auch die Beschlagnahme leerstehender Privatwohnungen.

In Deutschland ist das Eigentum durch die Verfassung geschützt. Es unterliegt aber auch einer Sozialbindung. Grundsätzlich darf daher in das Eigentum eingegriffen werden, wenn dies zwingend erforderlich ist, um ein höherrangiges Rechtsgut zu schützen. Nach dem Bundesverfassungsgericht kann dazu auch die Inanspruchnahme von privatem Wohnraum bei akuter Wohnungsnot gehören.

An die Zulässigkeit der Unterbringung von Flüchtlingen in Privatwohnungen sind aber wegen des damit verbunden Eingriffs in das Eigentumsrecht des Hauseigentümers besonders hohe Anforderungen zu stellen. In Berlin richtet sich die Unterbringung von Flüchtlingen in Privatwohnungen nach § 38 ASOG (Allgemeines Sicherheits- und Ordnungsgesetz) in Verbindung mit § 16 ASOG. Danach kann eine Wohnung vom zuständigen Bezirksamt zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr sichergestellt werden. Die drohende Obdachlosigkeit von Flüchtlingen und Asylanten dürfte eine gegenwärtige Gefahr sein.

Eine Sicherstellung zur Vermeidung von Obdachlosigkeit kommt aber nur als letztmögliches Mittel in Betracht. Die Inanspruchnahme ist daher nur möglich, wenn das Bezirksamt darlegen kann, dass zum Zeitpunkt der Inanspruchnahme keine eigenen Unterkünfte zur Verfügung stehen und auch die Beschaffung solcher Unterkünfte bei Dritten (z.B. Anmietung von Wohnungen oder Beherbergungsbetrieben) nicht rechtzeitig möglich ist.

Diese strengen Voraussetzungen wurden durch den Beschluss der BVV nicht geändert. Er ist lediglich als politischer Auftrag an das Bezirksamt zu verstehen, entsprechende Maßnahme  zu ergreifen, soweit dies rechtlich zulässig ist. Derzeit ist es sehr zweifelhaft, ob das Bezirksamt belegen könnte, dass die Sicherstellung privaten Wohnraums die letzte Möglichkeit ist, die Obdachlosigkeit von Flüchtlingen zu vermeiden. In der BVV war aber der klare Wille zu erkennen, mit allen rechtlichen Mitteln gegen sogenannte spekulative Leerstände vorzugehen. Dies könnte z.B. auf der Grundlage des am 12.12.2013 in Kraft getretenen Zweckentfremdungsverbot-Gesetz geschehen, das ein Leerstehen von Wohnraum für mehr als sechs Monate grundsätzlich verbietet. Er bleibt also spannend.